Die von mir so bezeichnete Time to Robot möchte ich nicht als Aufforderung zum Robotertanz missverstanden wissen, sondern als die verbleibende Zeit, in der der ausgeübte Beruf eines Menschen voraussichtlich besser von einer Maschine erledigt werden kann. In manchen Berufen ist dieser Zeitpunkt bereits überschritten (z.B. in der industriellen Produktion), bei anderen stehen wir kurz davor (z.B. in der Logistik). In der Dienstleistungsbranche fühlt man sich heute noch sicher vor maschineller Automatisierung und der letztendlich daraus resultierenden Überlüssigmachung des Einzelnen, doch auch hier lässt sich die Time to Robot langsam konkretisieren.
Warum wird das nicht diskutiert?
Bekanntermaßen fahren wir in die Zukunft mit dem Blick in den Rückspiegel. Was kommt, wird aus dem hergeleitet, das bereits geschehen ist. Wie haben gesehen, wie die Roboter in die Produktionshallen geschafft wurden, um uns die körperliche Arbeit abzunehmen. Wir sehen jetzt, wie der menschliche Faktor in der Logistik immer kleiner wird. Was hindert die Programmierer, K.I.-Forscher und Synergie-Schwätzer daran, “gestandene” Dienstleistungsberufe in Algorithmen zu pressen, der Rendite und des Fortschritts wegen?
Es gibt heute schon Roboter, die in Altenheimen für Unterhaltung sorgen (“Ich war erstaunt, wie unvoreingenommen die dementen Bewohner auf die Roboter reagiert haben”). Bei Experimenten dieser Art wird heute noch brav behauptet, dass die Maschinen nur zusätzlich zum Pflegepersonal eingesetzt werden und keinesfalls Arbeitsplätze ersetzen. Für die Specific-Task-Maschinen des Jahres 2011 mag das stimmen, kein Altenpfleger verliert seinen Job, nur weil Oma-o-Matic unfallfrei ein Glas Wasser überreichen kann. Wie aber sieht das in zehn Jahren aus? In 20? In 50?
Die Time to Robot hat in der Pflege bereits begonnen; der demografische Wandel und das schiere Ausmaß der zukünftig pflegebedürftigen Menschen wird die Automatisierungsprozesse gerade in dieser Branche erheblich beschleunigen.
Bei manchen Berufen muss man gar nicht mehr weit in die Zukunft schauen: In den USA sind Selbstbedienungskassen in Supermärkten heute schon teilweise neuer Standard. In meiner Stadt haben in den letzten Monaten sämtliche Videotheken geschlossen, nur in den 24h-Tankstellen stehen noch DVD-Selbstbedienungsterminals. Dem Ertrag geschuldete, wegrationalisierte Arbeitsplätze sind nichts Neues, aber es trifft nicht mehr nur das produzierende Gewerbe, sondern zunehmend auch in der Dienstleistung tätige Menschen.
Es geht mir nicht um Horrorszenarien, schon gar nicht, weil gerade in der K.I.-Forschung viel versprochen und bisher wenig gehalten wurde. Ich finde es nur bemerkenswert, wie nicht-existent das Thema der Verdrängung des Menschen aus den letzten nicht-roboterisierten Bereichen des Arbeitslebens in den Medien und der Politik ist. Interessiert das keinen? Haben wir uns vielleicht einfach schon schweigend damit abgefunden? Oder sind wir uns zu sicher, dass es uns persönlich nicht treffen wird?
Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass z.B. Berufsberater dieses Thema in Gesprächen überhaupt mal erwähnen. Niemand erklärt den Berufsanfängern, dass die Uhr in manchen Jobs bereits ziemlich schnell tickt. Wir laufen heute noch stärker als früher Gefahr, Menschen kostspielig für Berufe auszubilden, die dann in wenigen Jahren von Algorithmen erst ergänzt und dann ersetzt werden, wenn der Faktor Mensch in der Kosten-Nutzen-Rechnung der Unternehmer nur noch negativ auffällt.
Algorithmen sind unsichtbar. Das Bild des freundlich blinkenden Metallkasten-Roboter alter Schule hindert uns daran, die Dimensionen der bevorstehenden Dienstleistungsrevolution richtig einzuschätzen. Es werden mit großer Wahrscheinlichkeit keine Sachbearbeiterbots durch die Büros flitzen (Kann. Ich. Deinen. Locher. Haben. Fragezeichen. Danke.) — denn zusammen mit den Menschen werden auch die Büros verschwinden.
Wie das ganz praktisch aussehen kann, zeigt bereits die Software mit dem überaus passenden Namen Stats Monkey. Einmal mit Daten gefüttert, spucken die Algorithmen fertige Artikel zu Sportereignissen aus. Auch wenn der Sportjounalismus noch nie Aushängeschild der Branche war, so zeigen Stats Monkey und Konkurrenzprogramme, was heute bereits möglich ist (Ergänzung) und wohin die Reise in naher Zukunft (redundanter Ersatz) und ferner Zukunft (vollständiger Ersatz bzw. Umkehrung der Redundanz) gehen wird.
Als Ereignis-Journalist würde ich mir spätestens jetzt Gedanken über die Berufswahl machen.
Wir sollten uns von dem 50er-Jahre-Glauben verabschieden, dass Maschinen uns nur den körperlichen Teil der Arbeit abnehmen können. Es ist jetzt schon vereinzelt und im kontrollierten Rahmen sichtbar, was in nicht allzu ferner Zukunft zu einer in Zeitlupe ablaufenden Massenumwälzung der Arbeitswelt mit heute kaum vorstellbaren Folgen für Gesellschaft und Sozialstaat führen wird. Im 20. Jahrhundert wurde die Industrie automatisiert, im 21. Jahrhundert wird es die Dienstleistung sein.
An sich wäre es nichts Schlimmes, wenn es nicht nur zur Profitsteigerung derer dienen würde, denen die Roboter gehören. Die Abschaffung der Arbeit muss mit der Abschafffung der Denke von der Lohnarbeit als Existenzgrundlage einhergehen, z.B. das bedigungslose Grundeinkommen. Was übrigens nicht gleichzusetzen ist mit dem Ende der konstruktiven Tätigseins.