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The Dotwin Conspiracy

„Ab heute wird nichts mehr so sein, wie es war“, sagten sie uns damals, am 11. September 2001, und sie hatten teilweise recht. Bürgerrechte wurden abgebaut, Kriege geführt, Menschen im Namen verschiedenster Gottheiten getötet. Die Anschläge des 11. September waren vielleicht, die Zukunft wird es weisen, die Urkatastrophe dieses Jahrhunderts. Die eigentliche Tragödie, die die Unterjochung zumindest Deutschlands auslöste, fand jedoch bereits einige Monate zuvor statt – im Mai 2001.

Unschuldig schaut er aus, dieser kleine Spion. Doch davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Das „Dotwin“ genannte Maskottchen war eine Idee eines Konglomerats verschiedener Unternehmen wie Shell, Bild, Telekom D1 oder McDonald’s, die sich zusammen mit Pro7 eine recht kuriose Werbeaktion einfallen ließen.

Hunderttausendfach wurden kleine Pappkleber unter das Volk gebracht (zum Beispiel als Gimmick in Fernsehzeitschriften), mit der Aufforderung, diese zu bestimmten Zeiten auf den Fernseher zu kleben.

Die nicht ganz unwitzige Idee dahinter: Im Dotwin befand sich eine Folie, die sich durch die Belichtung des Programms veränderte. Dadurch konnten die Zuschauer „beweisen“, das laut Wikipedia eher anspruchslose Programm gesehen zu haben, wodurch sie zur Teilnahme an einem Gewinnspiel berechtigt waren. (Dass der offizielle Slogan, Bring mich zum Licht, zunächst Führ mich zum Schotter lauten sollte, ist jedoch lediglich ein Gerücht.)

Soweit eine ganz normale, wenn auch heute etwas kurios anmutende, Werbeaktion. Interessanter ist da schon die Verschwörungstheorie, die sich, eben wenige Monate vor dem 11. September, Bahn brach.

Noch während der Aktion geisterte ein „Manifest“ durch das damals noch relativ unsozialisierte Netz, das auch heute noch leicht zu finden ist. Demnach befand sich in den Dotwins ein kleiner Controller mit der Systemnummer CC128-A4, was so technisch klingt, dass es einfach stimmen musste. Dieser wurde laut der rumgeisternden Warnung von Infenion im Auftrag der niederländischen Medienforschungsgruppe tv miles international entwickelt, um Informationen über die Zuschauer zu sammeln. Mühevoll wurde mit allerlei Technobubble die Funktionsweise des Controllers erläutert:

Die Stromversorgung wird über sechs Kollektorflächen auf der Unterseite des Dotwins sicher gestellt. Jede der Flächen hat zwei Belichtungs-Öffnungen in der Papphülle. Durch die Energieunterschiede zwischen den beiden Öffnungen wird das Steuersignal für den Controller auswertbar. Auftreffendes rotes Licht wird in elektrische Ladung umgewandelt, der Großteil dient dazu, den Controller zu betreiben, über die Wellensignatur wird der Controller angesteuert.

Dabei würden selbst Nicht-Pro7-Gucker abgehört werden, da die Telekom als Mitentwickler die Signale zur Steuerung der Dotwins direkt in die Satelliten einspeiste. Dadurch stünden den Sammlern zur Speicherung die „kompletten 128 Kilobyte“(!) zur Verfügung, wobei nicht ganz klar wurde, was nun exakt aufgezeichnet wurde. Gemutmaßt wurde, „dass anhand der Stimmprofile gespeichert wird, wie viele Personen sich zu welcher Zeit vor dem Fernsehgerät befunden haben.“

Neben den offensichtlich kapitalistisch geprägten Ausforschungsgründen lugte natürlich auch Vater Staat als großer Bruder mit seinen Dotwin-Augen in unsere Wohnzimmer:

Besonders schnell zu spüren bekommen Schwarzseher diesen Lauschangriff. Die Adressen der Teilnehmer werden komplett an die GEZ abgetreten, wo ein Abgleich mit der vorhandenen Datenbank erfolgt. Betroffene erhalten schon vier Tage nach dem Absenden des Dotwins amtlichen Besuch. Von einer anderen Datenauswertung sind jedoch alle betroffen: Nicht umsonst sind die aufgeführten Firmen Gesellschafter dieser Aktion, alle sind sie Marktführer oder gehören zu einem marktbeherrschenden Konzern. Die Computer die die Kundendaten mit den Dotwin Daten zusammen auswerten wissen vielleicht bald mehr über uns, als wir selbst.

Dotwin reimt sich schließlich nicht umsonst auf Godwin.

Was zeigt uns dieses kleine Stück Internethistorie? Verschwörungstheorien sind nichts, was am 11. September 2001 erfunden wurde (auch wenn dieses Ereignis zugegebenermaßen für das Internet in dieser Hinsicht prägend war). Menschen suchten sich schon immer Anknüpfungspunkte, um der Welt zu zeigen, dass sie Dinge sehen, die die „Sheeple“ nicht sehen. Es gibt zahlreiche Gelegenheiten, um seine dystopischen Fantasien freien Lauf zu lassen, und die Dotwin-Aktion gehört dabei sicher zu einer der steileren Vorlagen. Der Verfasser mag sich einen kleinen Scherz erlaubt haben, aber die Tatsache, dass dieser Hoax selbst 10 Jahre später noch bestens dokumentiert ist, zeigt, wieviel Anklang diese Ideen finden. Es bleibt abzuwarten, welche Ideen wir zu lesen kriegen, wenn sich Google TV und Apple TV auf dem breiten Markt durchgesetzt haben – und welche Theorien sich vielleicht sogar als richtig erweisen.

2 Gedanken zu „The Dotwin Conspiracy“

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