It’s more fun to compute: Vor ziemlich genau 30 Jahren erschien das achte Album von Kraftwerk. Nach der Mensch-Maschine bastelten die im Ausland nach wie vor als deutsch-repräsentativ geltenden Düsseldorfer drei Jahre lang an der wie üblich wegweisenden Langspielplatte Computerwelt, die auch gut als EP hätte durchgehen können.
Grund für diesen Artikel: Ignorant wie ich bin war Kraftwerk für mich eigentlich immer die Gruppe, die Das Model gemacht hat und ansonsten bei der Expo 2000 für einen Mini-Jingle ordentlich abkassiert hatte. — Mit Computerwelt habe ich aber dann doch verstanden, warum auch heute noch so viele Elektromusiker Kraftwerk als Inspirationsquelle Nr. 1 angeben.
Kraftwerk-Songs kann man heute unmöglich zum ersten Mal hören. Zu oft wurden die Lieder gecovert, gesampelt, gereminiszenzt oder schlicht beklaut. Deutlich zu hören bei Computer Liebe [sorry Jungs, sic!].
Rufe Bildschirmtext, rufe Bildschirmtext! — Viele LOLs sind in den letzten Jahren ob solcher Lyrics gelacht worden, zu sehr hat sich die Welt seit 1981 verändert. Aber gerade wegen des hohen Alters und der offensichtlichen Thematik – Vereinsamung durch Technik – ist Computer Liebe ein besonderes Lied. Niemand außer Kraftwerk, vielleicht noch David Bowie, konnte Anfang der 80er solche Songs schreiben. Liebe über Computer? Chat-Bekanntschaften? Online-Dating? Begriffe einer fernen Zukunft, die uns heute längst erreicht hat.
I’m tired of using technology, I need you right in front of me reimte Justin Timberlake bekanntlich vor wenigen Jahren. Die Computer Liebe ist im Mainstream angekommen.
Die titelgebende Computerwelt kann man sicher als ersten (und einzigen?) Datenschutz-Song überhaupt sehen:
Nummern, Zahlen, Handel, Leute: Ein extrem lässiger Thriller-Beat und Verschwörungslyrics, die fefes Augen auch heute noch leuchten lassen. — In einer zeitgenössischen SPIEGEL-Rezension (danke, Wikipedia!) heißt es, dass Kraftwerk “in banalen Popstückchen die Segnungen der Computerwelt” feiern würde. An diesem Satz stimmt eigentlich alles, bis auf die angeblichen Segnungen.
Man muss Kraftwerk wirklich nicht mögen. Es ist sogar vergleichsweise einfach, sie zu hassen, der elektronischen Natur ihrer Lieder wegen. Was man aber nicht machen darf – und in die Falle bin ich bis vor kurzem selbst getreten – ist, ihren Einfluss auf heutige Musik zu unterschätzen. Bei Songs wie Nummern oder dem unvermeidlichen Trans Europe Express wurde jede einzelne Tonspur in viele “Klassiker” der House- und HipHop-Kultur eingearbeitet. Ohne Kraftwerk-Samples kein Planet Rock, keine Oldschool, keine Newschool, keine asozialen Berliner Rapper. Damn you, Kraftwerk!