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Ungeduld

Ich arbeite gerade an einer Webseite für einen Künstler aus Bonn. Dieser hat einen Fotografen beauftragt, um die Plastiken ins rechte Licht zu rücken. Die Webseite ist fertig, die Bilder sind fertig. Aber die Bilder sind nicht auf der Webseite. Der Fotograf will sie mir bald zuschicken. Auf CD. Per Post. [Edit: Gesamtgröße unter 10 MB]

Nochmal: Bilder, mit einer Digitalkamera aufgenommen, auf dem Rechner des Fotografen im richtigen Format vorliegend, werden auf eine CD gebrannt, die in einen Umschlag gesteckt und durchs Land geschickt wird, damit ich sie aus dem Briefkasten hole, in den Rechner schiebe und auf einen Server hochlade.

Was. Zur. Hölle.

Aktionen dieser Art führen mir immer wieder vor Augen, wie groß die Diskrepanz zwischen Online- und Offline-Geschwindigkeiten geworden ist, und wie zunehmend ungeduldig ich auf letztgenannte reagiere, weil sie Komplikationen schafft, mit denen wir uns im 21. Jahrhundert nicht mehr beschäftigen sollten.

Auch wenn es sich noch nicht überall herumgesprochen hat: Wir haben ein weltweites Kommunikationsnetz geschaffen, in dem sich in Echtzeit Daten austauschen lassen. Wenn bei Twitter eine Nachricht verschickt wird, sehen Follower diese unmittelbar. Die Strecke, die von den Daten zurückgelegt werden muss, bis sie beim Empfänger ankommt, ist mit dem Internet angenehm unerheblich geworden. Ob der Follower nun im Nachbarort oder in Neuseeland sitzt, ist zum Glück vollkommen irrelevant.

Natürlich funktioniert die Offline-Welt aufgrund ihres nunmal physikalischen Vorhandenseins bekanntermaßen anders, weil der räumlichen Entfernung Rechnung getragen werden muss. Zwar ist auch hier eine Echtzeit-Kommunikation möglich, aber eben nur von Angesicht zu Angesicht (Telefonie ist keine Offline-Kommunikation).

Vom Internet und seiner Schnelligkeit verwöhnt, fällt es immer schwerer, für archaische Kommunikationsformen Verständnis aufzubringen. Briefe, also auf toten Bäumen verfasste Texte, sind ein klassisches Beispiel: Man zahlt Geld dafür, damit eine Nachricht seinen Empfänger findet. Dieser Empfänger muss zum Zeitpunkt des Ankommens an seiner physikalischen Adresse vor Ort sein, um die Nachricht lesen zu können. Nachrichten werden einmal täglich ausgeliefert, aber nicht am Sonntag, aus religiösen bzw. heute eher arbeitsrechtlichen Gründen.
Kapitän Offensichtlich fügt hinzu: Innerhalb eines Landes dauert es ein bis zwei Tage, bis die Nachricht ankommt. Interkontinentale Kommunikation dauert nicht selten mehrere Wochen.

So ist das halt könnte man jetzt meinen, und ja, so ist es tatsächlich. Briefe sind die Telegramme des 21. Jahrhunderts. Man könnte sie mit Wasser in Plastikflaschen vergleichen. Obwohl jeder Haushalt in diesem Land eine eigene Wasserleitung bis in die Wohnung hat, bevorzugen es manche Menschen, ihr Getränk mit einer Erdölhülle im nächsten Supermarkt zu kaufen, zu dem es mit LKWs quer durchs Land gekarrt wurde.

Das lachhafte Hauptargument für Offline-Kommunikation ist die zweifelsfreie Identifizierbarkeit von Sender und Empfänger. Selbstverständlich ist es wichtig zu wissen, ob der Sender nun tatsächlich derjenige ist für den er sich ausgibt und ob die Nachricht auch wirklich bei der adressierten Person ankommt. — Eigentlich unverschämt, dass das im Jahr 2011 noch eine Hürde darstellt, die wir technisch noch nicht gelöst haben. Konzepte wie „ePost“ hätte man auch gut vor zehn Jahren einführen können, aber bitte nicht als Frickel-Lösung eines einzelnen Unternehmens, sondern als offener Standard.

Bei der Kommunikation mit Firmen und Behörden nervt es mich zunehmend so tun zu müssen, als hätte es in den letzten 20 Jahren keine Entwicklung bezüglich des effizienten Austauschs von Informationen gegeben. Dabei geht es mir weniger um die Tatsache, dass man durchaus schneller kommunizieren kann, sondern mehr darum, dass den verschiedenen Kommunikationsformen eine Wertigkeit zugesprochen wird, die nicht mehr der Lebenswirklichkeit entspricht. — Eine Unterschrift lässt sich ebenso leicht fälschen wie die E-Mail-Sender-Adresse, trotzdem gilt das eine Medium als offiziell / sicher und das andere nicht.

Als ich heute zum Briefkasten ging, lag darin übrigens nicht der erwartete Pony-Express-Umschlag des Offline-Fotografen, sondern ein dicker Brief meiner Bank. Man schickt mir ein Bündel Kontoauszüge auf Papier, das ich weder angefordert habe noch brauche. Man war dort einfach der Meinung, dass ich zu lange nicht mehr das ausgedruckt habe, was ich jederzeit online einsehen kann.

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4 Gedanken zu „Ungeduld“

  1. Wegen der Bildergeschichte; fällt bei Dir leider raus, dass es Regionen in .de gibt in denen https://tools.ietf.org/html/rfc1149 effizienter ist als der Upload bestimmter Dateimengen.
    Ich hatte bis vor 2 Monaten noch DSL 768 (16k up), ich weiss wovon ich rede ;)
    Mittlerweile hab ich „endlich“ DSL 2000 (50k up), was bei einer kurzen Rechnung auch nicht der Weisheit letzter Schluss ist.
    1GB Bilder möchte ich nicht unbedingt hochladen müssen, da fahr ich lieber mitm USB-Stick zum Kunden…

    P.s. Um eine Fehlerquelle auszuschliessen (Person X hat ein DSL-handicap und möchte in einem Internetcafé kein Mail nutzen) ist es sinnvoll für so etwas einen virtuellen Briefkasten ohne Zugangsbeschränkungen (upload-form ohne Login) anzuschaffen.

    €: https://de.wikipedia.org/wiki/Internet_Protocol_over_Avian_Carriers#Verwendung

  2. Danke für deinen Kommentar! Im konkreten Fall geht es gerade mal um ein Dutzend Bilder, die zudem schon Web-fertig vorliegen und zusammen keine zehn MB belegen.

    Klar, bei GB-Datenmengen und einem verkrüppelten Upstream kann ich ein physikalisches Versenden verstehen, von mir aus auch per Brieftaube. In meinem Fall hat mich auch vor allem aufgeregt, dass der Herr die Sachen per Post schickt, weil er es „immer so macht“, also quasi aus Tradition.

    Meine Arbeit findet mittlerweile ausschließlich online statt, und wenn die Offline-Welt mit ihrer Langsamkeit dazwischenfunkt, wird mein Arbeitsfluss unnötig unterbrochen. Tradition ist doch kein Argument.

  3. Ok, das ging aus’m Artikel nicht eindeutig hervor, nun sind alle Klarheiten beseitigt.

    Hab auch grad ’nen Spezialkunden, wo noch (zu machende) Bilder fehlen um das Projekt abzuschliessen. „Fertig“ war ich Anfang Oktober, der aktuelle Stand is, dass er „vor Weihnachten“ nicht dazu kommen wird.
    Das macht sich besonders schön, wenn man wie ich grad finanziell derbst auf’m Schlauch steht und die letzte Rechnung nicht schreiben kann…

  4. Hab den Artikel gerade um die Dateigröße ergänzt, um das Post-Argument zu entkräften. :)

    Wenn du nach Stunden bezahlt wirst und der Kunde selbst zum Flaschenhals mutiert, könnte sich eine Zwischenrechnung lohnen, Stichwort „höhere Gewalt“.

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